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Scheidung, das Gesetz und Jesus

von Walter L. Callison



Leben Geschiedene, die nach der Scheidung einen neuen Partner geheiratet haben, im Ehebruch?

Wie ist es nur dazu gekommen, dass wir
"Wer sich von seiner Frau scheidet" in all die Passagen hineingelesen haben, in denen Jesus wortwörtlich sagt "Wer seine Frau entlässt"?

Scheidung und erneute Heirat sind Themen, über die viel debattiert wird. Der folgende Artikel möchte dazu einladen, die Haltung der Gemeinde zur erneuten Heirat nach einer Scheidung zu überdenken.

“Denn durch Mose wurde uns das Gesetz gegeben, aber durch Jesus Christus sind die Gnade und die Wahrheit zu uns gekommen.” (Johannes 1:17). Gnade. Ist durch Jesus Christus Gnade zu den Menschen gekommen, die unter ehelichen Tragödien leiden? Wenigstens das gleiche Maß an Gnade, wie es ihnen unter dem Gesetz des Alten Bundes gewährt wurde? Sicher, wir betonen immer, dass Gnade und Wahrheit durch Jesus Christus zu uns gekommen sind. Doch wie wird dann den Männern und Frauen Gnade zuteil, denen das Leid einer gescheiterten Ehe und einer Scheidung widerfahren ist?

Christus hat mehr getan als uns durch Worte zu lehren. Er hat uns auch durch Seinen Lebensstil Dinge gelehrt. Christus brachte Seine Zuhörer mit ganz neuen Gedanken in Berührung. Er lehnte ihre überlieferten Lehren nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ab. Stattdessen ermutigte Er zur Liebe gegenüber Feinden und hob Frauen aus dem Status heraus, lediglich als „Besitztümer“ anerkannt zu werden. Dennoch lehrte Er aber auch Respekt gegenüber dem alten jüdischen Gesetz.

Wenn wir studieren was Jesus über Scheidung gesagt hat müssen wir alle Aspekte berücksichtigen wie Er in der Praxis mit den Menschen umging, die zerbrochene Ehen hinter sich hatten und auch, was Er über das jüdische Gesetz lehrte, in diesem Fall insbesondere im Hinblick auf die Vorschriften rund um das Thema der Ehescheidung.

Was ist mit der Aussage:
"Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch, und wer eine von ihrem Gatten entlassene Frau heiratet, begeht Ehebruch." (Lukas 16:18)? Wir sehen das mitfühlende und vergebende Wesen Christi gegenüber der Frau am Jakobsbrunnen, die Er als Seine Zeugin aussandte. Haben denn Seine Worte jemals Seinen Handlungen widersprochen? Leben Geschiedene, die nach der Scheidung erneut geheiratet haben, im Zustand des Ehebruchs? Ist es ihnen verboten, Christus zu dienen?

An dieser Stelle müssen wir auch die Worte des Apostels Paulus beachten:
“Nun muss aber ein Aufseher untadelig sein, Mann einer Frau…" (1. Timotheus 3:2). Spricht er hier von einem Mann, der geschieden wurde und danach erneut geheiratet hat?

Lukas überliefert nur einen einzigen, aber sehr prägnanten Kommentar zu diesem Thema:

“Es ist aber leichter, dass der Himmel und die Erde vergehen, als dass ein Strichlein des Gesetzes wegfällt. Jeder, der seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch; und jeder, der die von einem Mann Entlassene heiratet, begeht Ehebruch." (Lukas 16:17-18).

Prägnant. Doch Jesus machte deutlich, dass das Alte Testament etwas Bedeutsames zu sagen hat: Es gibt ein Gesetz! Als Er im Markusevangelium von den Pharisäern gefragt wird
"Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau zu entlassen?" (Markus 10:2) antwortet Jesus mit einer Gegenfrage: "Was hat euch Mose geboten?" (Markus 10:3). Die Antwort: "Mose hat gestattet, einen Scheidebrief auszustellen und dann die Frau zu entlassen." (Markus 10:4). Es gibt ein Gesetz.

Das Gesetz finden wir in 5. Mose 24:1-4 und Flavius Josephus, ein Zeitgenosse von Jesus, bezeichnet es als
"Das Gesetz der Juden":

"Wer, aus welchem Grund auch immer, von seiner Frau geschieden werden möchte (und es gibt viele solcher Fälle unter Männern), möge ihr schriftlich die Versicherung geben, dass er sie nie wieder als seine Frau in Anspruch nehmen wird; hierdurch hat sie die Freiheit, einen anderen Ehemann zu heiraten. Aber bevor sie diesen schriftlichen Scheidebrief in Händen hält ist ihr das nicht erlaubt..."
Antiquities of the Jews (Leben und Werk von Flavius Josephus), Band IV, Kapitel VIII, Abschnitt 23, Seite 134; (tr. Wm. Whiston; Holt, Rinehart, and Winston, NY).

Hier das Gesetz aus dem 5. Buch Mose:

"Wenn ein Mann eine Frau nimmt und die Ehe mit ihr vollzieht, später aber sich nicht mehr zu ihr hingezogen fühlt, weil er etwas Schändliches an ihr entdeckt hat, und er hat ihr einen Scheidebrief geschrieben und ihn ihr ausgehändigt und sie aus seinem Hause entlassen, kann sie hingehen und einen anderen Mann heiraten." (5. Mose 24:1-2).

Das Gesetz wurde zu der Zeit von Christus immer noch angewandt. Wir müssen uns also mit den
"Strichlein" des Gesetzes auseinandersetzen. Die Bibel berichtet nur von EINER EINZIGEN Scheidung. Gott sagt von sich selbst, er habe eine Scheidung vollzogen. In Jeremia 3 erinnert Gott Juda daran, dass es dabei ist, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Israel war bereits in Gefangenschaft geraten. Gott forderte Jeremia auf, Juda zu warnen. Sie sei ja bereits Zeuge der Untreue ihrer Schwester Israel geworden und habe mitbekommen, dass Gott ihr daraufhin einen Scheidebrief ausgestellt und sie fortgeschickt habe.(Jeremia 3:6-8).

Es gab aber noch andere Varianten, wie Männer seinerzeit mit ihren Ehefrauen umgingen. Viele waren mit mehr als nur einer Frau verheiratet und machten sich keinerlei Gedanken um Scheidung. Einige dieser Männer waren Diener Gottes: Salomo, David, Abraham und Esau zum Beispiel – in Gottes Offenbarung als Helden bezeichnet, aber dennoch auch jeweils ein Produkt ihrer Kultur.

Wenn er ihr keinen Scheidebrief ausstellte, was tat ein Mann jener Tage dann mit seiner Ehefrau wenn er eine andere heiraten wollte? Er
entließ sie. Im Alten Testament steht für „Scheidung“ ein bestimmtes Wort, es lautet "keriythuwth" und bedeutet wörtlich „ein Durchtrennen des Ehebundes“. Eine legale Scheidung erfolgte schriftlich, durch besagten Scheidebrief, wie in 5. Mose Kapirel 24 vorgeschrieben und gestattete die erneute Heirat mit einem anderen Partner. "Shalach" dagegen wird gewöhnlich mit “entlassen” übersetzt, im Sinne von “verstoßen”. Frauen wurden einfach “verstoßen” oder „beiseite gelegt“ wenn ihre Männer eine andere heiraten wollten, damit sie wieder verfügbar waren falls man sie doch wieder brauchte oder wollte. Damit wurde eine Frau zu einem bloßen Stück Besitz, zu einer Art Sklavin oder wurde komplett ausgemustert. Das war damals eine grausame Zeit für Frauen. Eine Frau konnte zugunsten einer anderen „beiseite gelegt“ werden ohne dass man ihr einen Scheidebrief ausstellte und ihr damit zu einer legalen Scheidung und dem Recht verhalf, einen anderen Mann zu heiraten. Dieses Wort beschreibt eine grausame Tradition, die zwar dem jüdischen Gesetz widersprach aber dennoch weit verbreitet war.

Die Schrecken der so behandelten Frauen bestanden darin, dass sie ganz auf sich allein gestellt waren, Mangel litten, Angst hatten und sich verlassen und verloren vorkamen.

J. B. Phillips schreibt in seinem Buch
For This Day (Word, 1975) dazu:

"Der christliche Glaube schlug Wurzeln und gedieh in einer Atmosphäre, die fast gänzlich heidnisch war. Grausamkeit und sexuelle Unmoral waren an der Tagesordnung. Sklaverei und die Minderwertigkeit von Frauen waren allgemein akzeptierte Selbstverständlichkeiten. Aberglaube und rivalisierende Religionen mit jeder Art von erfundenen Behauptungen existierten an allen Ecken und Enden.”


Gott hasste dieses “Entlassen“." Der Prophet Maleachi flehte zerbrochenen Herzens das Volk Gottes an, diese Praxis aufzugeben. Das hier verwendete Wort in Maleachi 2:16 ist nicht das hebräische Wort für die legale Scheidung durch Scheidebrief, sondern es ist das Wort "shalach" für „entlassen, beiseite legen“. Maleachi antwortet hier auf die Argumente von leitenden Männern, die von ihm wissen wollten, inwiefern sie denn verräterisch gehandelt, Gräueltaten in Israel verübt und die Heiligkeit des Herrn entweiht hätten.

"Da fragt ihr: ›Warum das?‹ Nun darum, weil der Herr Zeuge gewesen ist bei dem Bund zwischen dir und dem Weib deiner Jugend, dem du die Treue gebrochen hast, obschon sie deine Lebensgefährtin und durch feierlichen Bundesschluss deine Gattin war. So handelt niemand, in dem noch ein Rest von Verstand wohnt. Und das alles nur um Nachkommen zu erhalten, die Gott gehören! So seid denn auf der Hut um eures Geistes willen, und handle du nicht treulos am Weibe deiner Jugend! »Denn ich hasse Entlassungen« – so spricht der Herr, der Gott Israels.“ (Maleachi 2:14-16)

Und dann kam Jesus. Und Seine Worte widersprechen nicht seinen Handlungen! Er sprach genau von dieser Praxis als er sagte:
“Jeder, der seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch; und jeder, der die von einem Mann Entlassene heiratet, begeht Ehebruch." (Lukas 16:18). Wer diese Praxis vollzieht begeht Ehebruch! Diese Praxis war grausam und ehebrecherisch, aber es handelte sich nicht um eine Scheidung.

Dieses Wort
"shalach" aus dem Alten Testament, das mit “entlassen” übersetzt wird, entspricht im Neuen Testament einer Form des griechischen Wortes "apoluo."

Das hebräische Wort für die legale Scheidung im Alten Testament lautet
"keriythuwth" und entspricht im Neuen Testament dem griechischen Wort "apostasion."

"Apoluo" bezeichnet keine legale Scheidung, obwohl es im allgemeinen Sprachgebrauch trotzdem häufig als Synonym hierfür verwendet wurde. Das jüdische Gesetz jedoch verlangte einen schriftlichen, offiziellen Scheidebrief, wurde jedoch weitläufig ignoriert. Wenn ein Mann seiner Frau überdrüssig geworden war und eine andere heiraten wollte – na und? Wenn ein Mann seine Frau ohne offiziellen Scheidebrief wegschickte, wer hätte dagegen schon Einspruch erheben sollen? Die Frau etwa?

Jesus hatte jedoch ein paar Einwände gegen diese Praxis vorzubringen, denn er liebte selbst schlecht behandelte Frauen! Er sagte den Pharisäern dass die ganze Erde in Rauch aufgehen würde bevor das Gesetz aufgehoben würde, das einen offiziellen Scheidebrief verlangte (Lukas 16:17). Und er erklärte, dass ein Mann, der seine Ehefrau ohne einen schriftlichen Scheidebrief wegschickt und eine andere heiratet (solange er ja dann legal noch verheiratet ist) sich des Ehebruchs schuldig macht. Und die so entlassene Frau steckt erst recht in Schwierigkeiten – sie besitzt keinen legalen Scheidebrief und gilt somit auch nach wie vor als verheiratet. Somit würde sie ebenfalls Ehebruch begehen wenn sie in diesem Zustand erneut heiratet.

Die Unterscheidung zwischen
"apoluo" und "apostasion" ist daher von entscheidender Bedeutung! "Apoluo" entlässt die Frau ohne Ansprüche und Zuflucht, des grundlegenden Rechts auf eine monogame Ehe beraubt. "Apostasion" beendet legal eine Ehe und gestattet der somit wieder frei gewordenen Person eine neue Ehe. Das Schriftstück macht einen riesigen Unterschied. Das war das Gesetz.

Jesus spricht auch noch an anderer Stelle über dieses Thema, so zum Beispiel in Matthäus 19:9, Markus 10:10-12 (wo er dasselbe Gesetz für Männer als auch für Frauen beschreibt) und Matthäus 5:32. Jesus verwendet in diesen Texten ganze elf Mal eine Form des Wortes
"apoluo" und überall verbietet er dieses "apoluo", also das Entlassen. Das vom jüdischen Gesetz vorgeschriebene "apostasion" hat er jedoch nie verboten.

Sollte das griechische Wort
apoluo mit „Scheidung“ übersetzt werden? Kenneth S. Wuest übersetzt es in The New Testament, an Expanded Translation immer mit “entlassen” oder “wegschicken”, nie mit „Scheidung“. Die alte und sehr wortgetreue American Standard Version übersetzt es immer mit „verstoßen“. Die King James Version übersetzt es in zehn von elf Fällen, in denen Jesus das Wort benutzt, mit “entlassen”. Genau dieser elfte Fall scheint die Wurzel des Problems zu sein. Im Jahr 1611 haben die Übersetzer der King James Version der Bibel an EINER Stelle „scheiden“ statt „entlassen“ verwendet. In Matthäus 5:32 übersetzten sie: "und wer eine Geschiedene heiratet begeht Ehebruch" obwohl dort im Urtext ebenfalls das Wort "apoluo" steht, also das Entlassen einer Frau ohne Scheidebrief. In so einem Fall ist sie natürlich vor dem Gesetz noch verheiratet und wäre eine Ehebrecherin wenn sie einen anderen Mann heiraten würde.

Matthäus 19:3-10 beschreibt einen Vorfall, bei dem die Pharisäer Jesus höhnisch zu diesem Thema befragen:
"Darf man seine Frau aus jedem beliebigen Grund entlassen?" Jesus erwidert daraufhin, dass die Ehe eine dauerhafte Beziehung ist und sagt: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden." (Matthäus 19:6).

Die nächste Frage der Pharisäer lautet:
"Warum hat denn Mose geboten, der Frau einen Scheidebrief auszustellen und sie dann zu entlassen?" Jesus antwortete: "Nur aufgrund eurer Herzenshärte!" (Matthäus 19:8). Das allererste Grundrecht, das Gott uns gewährte, war das Recht, einen Ehepartner zu haben. Keine andere Beziehung ist adäquat. Doch hartherzige Männer haben damals eigenmächtig ihre Ehefrauen entlassen und neue Frauen geheiratet und sich als geschieden betrachtet, dabei jedoch die so verstoßenen Frauen recht- und mittellos sich selbst überlassen und ihnen durch dieses Verhalten den Zugang zu dem grundlegenden Recht auf eine neue Ehe abgeschnitten. Zur damaligen Zeit galten die „Menschenrechte“ nur für Männer. Jesus hat das geändert! Er verlangte Gehorsam gegenüber dem Gesetz und damit gleiche Eherechte für Frauen. Jesus Christus ist voller Gnade!

Jesus sagte diesen Männern, dass die gängige Praxis, eine Frau einfach ohne Scheidebrief zu entlassen, Ehebruch war! Das Gesetz sah für Ehebruch die Todesstrafe vor, sowohl für den Mann als auch für die Frau! Das war eine bittere Pille zu schlucken für die Männer, die mit den Frauen einfach machten was sie wollten. In Matthäus 19:10 lesen wir, wie geschockt sie waren:
"Wenn ein Mann solche Pflichten gegen seine Frau hat, so ist es nicht ratsam, überhaupt zu heiraten!” Sie lebten nicht in einer Kultur, in der erwartet wurde, dass ein Mann mit nur einer einzigen Frau bis ans Lebensende verheiratet blieb, geschweige denn ihr gleiche Rechte zugestand wenn die Ehe scheiterte.

Wie ist es nur dazu gekommen, dass wir
"Wer sich von seiner Frau scheidet" in all die Passagen hineingelesen haben, in denen Jesus wortwörtlich sagt "Wer seine Frau entlässt"?

Möglicherweise hat die einzige Stelle, an der das Wort
apoluo im Jahr 1611 fälschlicherweise mit „geschieden“ übersetzt wurde, den ganzen Prozess in Gang gebracht. Die American Standard Version hat den Irrtum im Jahr 1901 korrigiert. Diese Änderung wurde jedoch nie populär genug um einen nennenswerten Unterschied in der Lehre der meisten Gemeinden zu machen. Wuest arbeitete sorgfältig genug um solche Fehler zu vermeiden. Doch fast alles, was je aus einer Druckerpresse gekommen ist, ist von der King James Version der Bibel beeinflusst, selbst Wörterbücher und moderne Bibelübersetzungen tragen den Übersetzungsfehler weiter. Mittlerweile hat diese lange Überlieferung uns gelehrt, in unserem Kopf tatsächlich “geschieden” wahrzunehmen obwohl unsere Augen doch tatsächlich “entlassen” lesen.

Ist der vom jüdischen Gesetz geforderte, schriftliche Scheidebrief die Lösung für die grausame Praxis des „Entlassens“? 5. Mose Kapitel 24 ist der Beleg dafür, dass Gott nicht nur das Klagen seines Volkes in Ägypten hörte und für Befreiung aus der Sklaverei sorgte, sondern er hörte auch das Klagen versklavter Frauen und sorgte für Befreiung von Missbrauch im Rahmen dieser tragischen Notwendigkeit von Scheidungen. Tragisch, weil sie das beendet, was eigentlich nie beendet werden sollte: eine Ehe. Notwendig, weil die Opfer derjenigen geschützt werden müssen, die den Regeln des Schöpfers nicht gehorchen. Notwendig, weil Männer einfach ihre Frauen „entließen“ und sie dadurch in illegalen und ehebrecherischen Mehrehen gefangen hielten.
Scheidung ist ein Privileg, zur Verfügung gestellt als Korrektiv für eine nicht tolerierbare Situation. Wie jedes Privileg kann und wird sie oft missbraucht. Eine Scheidung ist in den meisten Fällen eine unschöne Angelegenheit. Einsamkeit, Ablehnung, ein tiefes Empfinden des Versagens, Selbstwertverlust, kritisierende Verwandte, Auseinandersetzungen über das Sorgerecht für Kinder oder die Aufteilung des Vermögens – mit all dem und mehr sind die Geschiedenen konfrontiert.

Scheidung kann manchmal sogar als traumatischer erlebt werden als der Tod des Ehepartners. Die Trauer nach dem Tod des Ehepartners ist zwar gleichermaßen schwer zu ertragen wie der Kummer nach einer Scheidung, doch mit einem verstorbenen Ehepartner muss man sich nicht immer wieder erneut auseinandersetzen, wie es bei einem geschiedenen Ehepartner oft der Fall ist und alte Wunden wieder neu aufgerissen werden können. Scheidung ist und bleibt lediglich das, was sie auch zu der Zeit von Jesus bereits war: eine teilweise Lösung in einer ernsten und grausamen Situation – und manchmal vielleicht auch die einzige vernünftige Lösung. Sie kann notwendig werden, aber sie ist immer und in jedem Fall eine Tragödie!

Wir können vielleicht einige Scheidungen vermeiden indem wir unsere Scheidungsgesetze oder religiöse Gebote verschärfen, aber all diese Aktionen können keine zerbrochenen Ehen verhindern. Wenn Ehepaare nur aufgrund der Furcht vor solchen Dingen zusammenbleiben oder auch nur “wegen der Kinder” kann das zu noch größeren Tragödien führen als es eine Scheidung wäre. Katastrophale Dreiecksbeziehungen, häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch, Mord und Selbstmord sind einige der Konsequenzen einer gescheiterten Ehe, die aus Zwängen fortgeführt anstatt beendet wird. Eine zerbrochene Familie ist eine Tragödie, doch ich werde nie den Fall eines jungen Mannes vergessen, der sich den Lauf einer Pistole in den Mund steckte um seine Ehe zu beenden weil seine Gemeinde ihm die Scheidung verboten hatte.

Unsere hohen Scheidungsraten sind nicht das wahre Problem. Zuerst kommt die zerrüttete Ehe, erst dann die Scheidung. Die Scheidungsrate ist lediglich ein Indikator dafür, was für eine große Zahl an schlechten Ehen es gibt. Um das zu ändern bedarf es mehr als von der Kanzel gegen Scheidung zu wettern! Vielmehr muss die Gemeinde den Menschen konstruktiv bei der Vorbereitung auf die Ehe zu helfen und bestehende Ehen stärken. Das ist unsere eigentliche Aufgabe und Herausforderung!

Kann ein geschiedener Mensch als Diakon oder Prediger dienen? Der Apostel Paulus, ein gebildeter Mann, wusste um das korrekte griechische Wort für „Scheidung“
(apostasion) und er kannte die Kultur, in der er lebte. Er wusste auch, dass Christus jeden annahm, selbst ihn, den "Größten unter allen Sündern" (1. Timotheus 1:15). Zweifellos hatten einige der ersten Bekehrten seinerzeit mehrere Ehefrauen, Sklavenfrauen und Konkubinen. Bei jeder dieser Beziehungen - auch wenn man ihnen die nettere Bezeichnung „Polygamie“ gab – handelte es sich um Ehebruch. Paulus lehnte das Haupt eines solchen Haushalts als Leiter in der Gemeinde ab. Das Gebot in 5. Mose 24 limitierte einen Mann auf nur eine Ehefrau und verhinderte so Polygamie und den damit unweigerlich verbundenen Ehebruch. Und so verlangte Paulus: “Nun muss aber ein Aufseher untadelig sein, Mann einer Frau…" (1. Timotheus 3:2). Er sprach sich damit gegen Polygamie aus, nicht gegen Scheidung.

Trotz ernsthafter Fälle von Missbrauch hat das Scheidungsgesetz aus 5. Mose Kapitel 24 nach wie vor seine Gültigkeit. Scheidung ist eine radikale Lösung für unüberwindliche Eheprobleme. Sie beendet jede Hoffnung, dass die Ehe noch gerettet werden kann und erklärt öffentlich, dass die Ehe gescheitert ist. Die mit diesem Versagen verbundene Sünde muss wie jede andere Sünde bekannt werden, um in den Zustand der Vergebung und des Friedens mit Gott zurückzukehren.
"Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt." (1. Johannes 1:9). Darin eingeschlossen ist Vergebung für eheliches Versagen.

Der schriftliche Scheidebrief sorgte für ein gewisses Maß an menschlicher Würde für Frauen, die ansonsten mit dem fadenscheinigen, mündlichen “Ich entlasse dich” hartherziger Männer abgespeist wurden. Der schriftliche Scheidebrief erklärte das legale Ende einer Ehe und verhinderte dadurch jegliche Anklage von Ehebruch oder Bigamie im Falle einer erneuten Heirat eines der beiden Geschiedenen. Die Scheidung durchtrennte alle ehelichen Verbindungen und jegliche Herrschaft durch den früheren Ehepartner. Das Scheidungsgesetz verlangte strikte Monogamie.

Jahrhunderte lang hat ein großer Teil der christlichen Gemeinde die Lehren von Jesus zu diesem Thema folgendermaßen interpretiert:

    1. Scheidung ist absolut ausgeschlossen bzw. höchstens im Fall von zugegebenem oder nachgewiesenem sexuellen Ehebruch zulässig.
    2. Ein geschiedener Mensch darf nie wieder heiraten (oder allenfalls im Fall einer späteren Versöhnung den ehemaligen Ehepartner erneut).
    3. Ein geschiedener Mensch, der danach einen anderen Partner heiratet, begeht fortwährend Ehebruch.
    4. Ein geschiedener Mensch darf nicht als Diakon oder Leiter der Gemeinde dienen.

Jede einzelne dieser vier Aussagen ist falsch.

Christus, der einst über Jerusalem weinte, weint sicher auch über uns. Er kam und berief den Fanatiker Simon, einen radikalen Anti-Römer und Matthäus, einen verhassten Lakaien Roms in seine Nachfolge – ein Paar, das inkompatibler nicht hätte sein können. Doch er stellte sie Seite an Seite zum Dienst in seinem Reich. Dann ging er nach Samaria und offenbarte sich einer Frau mit einer schändlichen Biografie an ehelichem Versagen und sandte sie aus um die Offenbarung Gottes in Christus zu verbreiten als wäre sie dafür genauso gut geeignet wie jeder andere.
Er muss sicherlich weinen wenn er uns sieht, wie wir unsere Zeit damit vergeuden, herauszufinden wen wir aus dem Dienst in der Gemeinde ausschließen können.

Jesus diente öffentlich jedem Menschen, der zu ihm kam. Doch viele unserer geschiedenen Brüder und Schwestern halten sich aus Furcht fern von unseren Gemeinden. Sie wissen, was unserer Meinung nach die Bibel über Ehescheidung lehrt. Ist es tatsächlich möglich, dass wir mit unserer Auffassung Recht haben wenn wir dabei doch Christus so gar nicht ähnlich sehen? Trennen uns unsere überlieferten Auslegungen von Menschen, die Jesus angenommen hätte? Falls ja, dann müssen wir falsch liegen. Er kam um Sünder zu retten. Die einzigen Menschen, die er je ablehnte, waren die selbstgerechten Religiösen. Kann unser Verständnis seiner Worte richtig sein wenn es nicht mit seinem gelebten Zeugnis übereinstimmt? Geschiedene Leute sind echte Menschen! Jahrhunderte lang haben Gemeinden diese Menschen von der Gemeinschaft und vom nützlichen Einsatz im Leib Christi ausgeschlossen, sie von Freude und Gleichheit abgeschnitten und in manchen Fällen sogar von der Errettung. Doch das sind Menschen, für die Christus gestorben ist. Ob Scheidung nun Sünde ist oder nicht – diese Haltung ist es auf jeden Fall. Möge Gott uns die Gnade schenken, die durch Jesus zu uns gebrachte Gnade den Geschiedenen zu zeigen.

Walter L. Callison wurde am 7. März 1928 geboren und verstarb am 7. Juli 2009 in Yates Center, Kansas/USA.